Ballettgeschichte
Das russische Ballett, berühmt für seine vollendete Technik, machte den Körper zu einem Instrument der Ausdruckskraft und brachte damit die Kunst des Bühnentanzes zur Vollendung schlechthin.
Dank der von Kraft und Dynamik geprägten strengen, klassischen Ausbildung sind die russischen Ballett-Tänzer imstande, atemberaubende Sprünge zu vollführen. Nicht zuletzt verdanken die russischen Balletttruppen ihren ausgezeichneten Ruf aber auch dem Corps de ballet. Oberstes Gebot des Ensembles ist ein harmonisches, in sich geschlossenes Gesamtbild und eine absolut präzise Tanztechnik. Begründer des klassischen russischen Balletts im 19. Jahrhundert war der Franzose Marius Petipa (1819 - 1910). Er arbeitete mit Tschaikowski bei der Einstudierung von Dornröschen und Nussknacker zusammen, schuf aber auch selbst 57 abendfüllende Ballette, 34 Opernballette und nahm 17 Neuinszenierungen vor.
Ballettmeister
Ein Ballettmeister (engl. Ballet Master, franz. Maitre de ballet, span. Maestro de ballet), früher auch Tanzmeister, ist ein Mitarbeiter beim Theater oder bei einer Ballettkompanie, der für das Können der Tänzer in der Kompanie und die Qualität der Ausführung der Tanze (Choreografien) verantwortlich ist. Ballettmeister trainieren üblicherweise täglich Ballettklassen und bereiten sie auf aktuelle oder bevorstehende Stücke vor. Der Tanzmeister ist ursprünglich ein Tanzlehrer und war seit der Neuzeit, als der Tanz für die Bildung der Adligen große Bedeutung bekam, eine Art Benimm-dich-Lehrer für Söhne und Töchter, so wie der Hofmeister. Daher stammt die Redewendung "nach seiner Geige tanzen": Die Tanzmeistergeige war das wichtigste Handwerkszeug des Tanzmeisters. Weil das Zeremoniell des Hofstaats und das Hoftheater bis etwa 1700 kaum zu trennen waren, waren die Tanzmeister für das Arrangement der gesellschaftlichen Anlässe oder der Kontratänze beim Ball ebenso zuständig wie für die Tänze auf der Bühne, die noch zur Mehrzahl in Opern und Schauspiele eingegliedert waren. Diese Doppelfunktion des Ballettmeisters als Tanzlehrer der Hocharistokratie und als Choreograf am Theater hält sich teilweise bis ins 20. Jahrhundert hinein, etwa in der Person Carl Godlewskis an der Wiener Hofoper. Die Tanzmeister bis zum Ende des 18. Jahrhunderts waren für die Zusammenstellung der Musik verantwortlich und oft auch selbst die Komponisten der Ballettmusik. Auch diese Tradition hielt sich im Unterhaltungtheater noch lange, wie etwa bei Charlie Chaplin oder Grock, die ihre Musik selbst komponierten. Es gab zahlreiche reisende Tanzmeister, die als Ratgeber adliger und reicher bürgerlicher Familien begehrt waren und für die Verbreitung der neuesten Gesellschaftstänze und Moden ebenso verantwortlich waren wie für die Entstehung eines Ballett-Repertoires seit dem 18. Jahrhundert. Diese Tanzmeister schrieben auch Traktate und andere tänzerische Anleitungen, die sich gut verkaufen ließen. Der prominenteste unter ihnen ist Jean-Georges Noverre. Auch Jean Dauberval oder Filippo Taglioni waren noch reisende Tanzmeister. Der Tanzmeister als Arrangeur vorgegebener Tanzschritte wird in jener Zeit zu einem Choreografen, der größere künstlerische Freiheit besitzt. Ein Reisender hatte eine höhere gesellschaftliche Stellung als ein Fahrender. Bei den reisenden Tanz- und Ballettmeistern war diese Abgrenzung allerdings nicht immer klar. Auch die Wanderbühnen führten Tanzmeister für das Arrangement der Tänze und Tableaux vivants mit. Die Tanzausbildung war Grundlage für alle Bühnenkünste. Es gab noch keine deutliche Abgrenzung zwischen Schauspielern, Sängern und Tänzern und damit nur wenige spezialisierte Ballett-Truppen. Eine Professionalisierung des Balletttanzes geschah erst im 19. Jahrhundert. Damit konnte der Tanzmeister endgültig zum "Ballettmeister" werden und von einem Lehrer gesellschaftlicher Anstandsregeln zu einem künstlerischen Leiter aufsteigen, der sich kaum noch mit Dilettanten oder tänzerisch wenig fortgeschrittenen Schauspielern und Sängern beschäftigen musste. Dieser hohen Spezialisierung des Tänzerberufs wirkten allerdings Strömungen entgegen, die etwa von Francois Delsarte ausgingen und später in Ausdruckstanz und Tanztheater mündeten. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Position des Ersten Ballettmeisters auch als Hauptchoreograf bezeichnet, der wiederum eine Art Intendant war. Seine Aufgaben waren unter anderem Tänze zu entwickeln, Stücke auszuwählen, Absprachen mit dem Komponisten zu treffen und, natürlich, die Tänzer zu trainieren. Nach 1900 wurde der Begriff Zweiter Ballettmeister eher dazu gebraucht, den Rektor oder Leiter einer Ballettkompanie zu beschreiben. Da dem Ausdruck Ballettmeister noch die Funktion des Tanzmeisters anhaftet, haben selbstständige Ballettkompanien heute oft einen Ballettdirektor.
Jean-Baptiste Lande, ein Franzose, führte das Ballett 1734 in Russland ein. In Sankt Petersburg und Moskau entstanden Tanzschulen, zumeist aber stammten die Tänzer damals aus Italien und Frankreich. 1801 kam der Tanzlehrer Charles Louis Didelot nach Sankt Petersburg und bildete russische Tänzer aus, die es mit jenen aus dem Ausland aufnehmen konnten. Fast unmittelbar nachdem sich Didelot zur Ruhe gesetzt hatte, erschien Petipa auf der Bildfläche. Unter seiner Führung gingen aus der Kaiserlichen Ballettschule von Sankt Petersburg einige der größten Primaballerinen hervor die anmutige Mathilde-Maria Kschessinskaja, Olga Preobrajenska und Anna Pawlowa. Nach Abschluss ihrer Ausbildung an der Kaiserlichen Ballettschule im Jahre 1899 riss die Pawlowa das Publikum im Ausland zu Begeisterungsstürmen hin und verlor dabei nach und nach die Bindung an ihr Heimatland. 1913 verließ sie Russland für immer.
Petipa starb 1910. Die Tänzerin Agrippina Waganowa trug die von ihm entwickelten Grundlagen des russischen klassischen Balletts, auf denen er seinen Unterricht aufgebaut hatte, zusammen und gab sie in Form eines Handbuches an die Eleven des Sankt Petersburger Marientheaters weiter. Ihr ist es zu verdanken, dass diese Grundlagen nicht in Vergessenheit gerieten, denn nach der Machtergreifung durch die Bolschewiken 1917, zerstreuten sich zahllose russische Talente in alle Welt. Die Ballettakademie trägt heute ihren Namen. Mit dem brillanten Impresario Sergei Diaghilew und Michail Fokin, einem herausragenden Choreographen, hielt das russische Ballett im Jahre 1909 triumphalen Einzug in Europa. Die beiden brachten ein Ballettensemble der Kaiserlichen Ballettschule von Sankt Petersburg nach Paris. Diaghilews Balletts Russes glänzten mit hinreißenden Inszenierungen vor farbenfrohen Bühnenbildern, die von hervorragenden russischen Künstlern wie Korowin, Golowin, Benois und Bakst entworfen worden waren. Doch die Sensation schlechthin waren die Tänzer Nijinski, Massine und Lifar. Von kleiner Statur und eher gedrungen gebaut, unterschied sich Nijinsky, der vielleicht berühmteste Ballett-Tänzer aller Zeiten - ganz offensichtlich vom herkömmlichen Ideal, aber mit seinen sensationell hohen Schwebesprüngen und der Ausdruckskraft seines Körpers riss er das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin und läutete eine neue Ara in der Geschichte des Balletts ein.
Auch nach der Revolution büßte das Ballett nichts von seiner technischen Perfektion ein, und in der gesamten Sowjetunion wurden Balletttruppen und Schulen vom Staat großzügig gefördert. Von einigen wenigen herausragenden neuen Werken wie Prokofjews Romeo und Julia (1935) und Chatschaturjans Spartakus (1956) abgesehen, entstanden kaum neue Ballette, und zumeist griff man auf die klassischen Repertoires zurück. Ihre ersten, von Beifallsstürmen begleiteten Tourneen in den Westen unternahmen das Moskauer Bolschoi-Ballett und das Leningrader Kirow-Ballett (das einstige Kaiserliche Ballett von Sankt-Petersburg) in den Fünfzigerjahren. Insgesamt betrachtet, herrschte an den Ballettschulen und bei den Ballettensembles eine Atmosphäre, die von einem über das normale Maß hinausgehenden Konkurrenzdenken geprägt war, und viele Tänzer sahen sich in ihrer Freiheit des künstlerischen Ausdrucks von politischem Druck eingeengt. Während einer Auslandstournee im Jahre 1961 setzte sich Rudolf Nurejew, der größte russische Tänzer seit Nijinski, vom Kirow-Ensemble ab. Ausgelöst wurde dieser Schritt durch den Mangel an Choreographen, die sich Neuem gegenüber aufgeschlossen zeigten, und das eng begrenzte Repertoire -zwei Gegebenheiten, die Nurejew daran hinderten, das in ihm schlummernde Talent voll zu entfalten. Der brillante Michail Baryschnikow und andere Tänzer empfanden ähnlich und folgten wenige Jahre später seinem Beispiel. Nach wie vor sind die russischen Ballett-Tänzer in der Beherrschung des reinen klassischen Stils unübertroffen, und das russische Ballett beeinflusst auch weiterhin die Tanzkunst der westlichen Länder.
Der letzte Zar Russlands, Zar Nikolaus II. war von der anmutigen Primaballerina Mathilde-Maria Kschessinskaja so begeistert, dass er ihr 1904 eine eigene Villa in Auftrag gegeben hatte. Die Affäre mit dem Zaren machte sie ebenso berühmt wie ihre Kunst zu tanzen. 1917 nach der Revolution wurde ihre Villa von den Bolschewiken beschlagnahmt und enteignet, woraufhin sie nach Paris zog. Die Villa trägt bis heute ihren Namen, wo ein Museum untergebracht ist.